Volkslied

Volkslied
Vọlks|lied 〈n. 12im Volk entstandenes u. überliefertes, schlichtes, weitverbreitetes Lied in Strophenform; Ggs Kunstlied

* * *

Vọlks|lied, das [im 18. Jh. wahrsch. nach engl. popular song]:
volkstümliches, im Volk gesungenes, vom Geist u. von der mündlichen Überlieferung des Volkes geprägtes, schlichtes Lied in Strophenform.

* * *

I
Volkslied,
 
Liedgut bestimmter regionaler oder sozialer Volksgemeinschaften, das im Wesentlichen den allgemeinen Entstehungs-, Gebrauchs-, Verbreitungs- und Überlieferungsbedingungen der Volksmusik unterliegt. Schon durch die nationalsprachlichen Texte, aber auch durch spezifische, von Tradition und Sprache geprägte musikalische Wendungen hat das Volkslied trotz internationaler Gleichheit vieler Themen und Motive sowie Ähnlichkeit von Formungsprinzipien einen stark nationalen Charakter.
 
J. G. Herder prägte 1773 als Lehnübersetzung des englischen »popular song« die Bezeichnung »Volkslied« als Sammelbegriff, der von G. A. Bürger, C. F. Nicolai, J. H. Voss, Goethe u. a. aufgegriffen und durchgesetzt wurde. Er ersetzte die bis dahin gebräuchlichen Begriffe wie Gassenhauer, Straßenlied, Bergreihen, Reuterliedlein, bezeichnete also weniger eine neue Sache als vielmehr eine neue Wertung der literarisch-musikalischen Gattungen, die als Gegenposition zur zeittypischen Gelehrten- und Individualpoesie (besonders zur antikisierenden Anakreontik) verstanden wurden. Herder sah in den Volksliedern die »bedeutendsten Grundgesänge einer Nation«, in denen natur- und vernunftgemäße ethische und ästhetische Werte eine allgemein verbindliche Gestalt angenommen hätten.
 
Die romantische Auffassung von der anonym-kollektiven Produktion durch einen schöpferischen Volksgeist ist heute widerlegt. Entscheidend ist nicht die Kollektivität der Produktion - viele Lieder haben einen namentlich bekannten Verfasser -, sondern die der Verbreitung, die mit einer aktiven Aneignung, Überlieferung und Umformung (Umsingen, Zersingen) einhergeht. Auf diese Weise »volksläufig« wurden zahlreiche ursprüngliche Kunstlieder, u. a. »Der Mond ist aufgegangen« (M. Claudius), »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten« (H. Heine). Gleiches vollzieht sich aber auch beim städtischen Volkslied, etwa beim Gassenhauer, oder beim Arbeiterlied (während Arbeiterhymnen wie die »Internationale« dadurch charakterisiert sind, dass Text und Melodie nicht verändert werden). Auch schlagerartige Musik (v. a. Typen des Stimmungs-, Trink-, Karnevalslieds) kann folklorisiert werden, etwa durch spontan entstehende Umtextierungen oft parodistischer Art.
 
Die Überlieferung des Volkslieds begann im Spätmittelalter in handschriftlichen, später in gedruckten Liederbüchern. Dem 15. Jahrhundert gehören Sammlungen wie die Liederbücher von Hohenfurt, Wienhausen, Rostock, das Lochamer-Liederbuch (1452-60), Schedels Liederbuch (1460-62), das Glogauer Liederbuch (um 1480) und das »Liederbuch der Klara Hätzlerin« an. Im 16. Jahrhundert wurden Volkslieder durch mehrstimmige Bearbeitungen (H. Isaac, C. Othmayr, L. Senfl, G. Rhau, G. Forster, M. Franck u. a.) für die stadtbürgerliche Kunstpflege übernommen. Daneben entstanden, v. a. auf Flugblättern, Einblattdrucken, neue oder veränderte Volkslieder. Geistliche Lieder beider Konfessionen erschienen seit der Reformation in großer Zahl in Gesangbüchern. Als indirekte Quelle für Volkslieder sind auch Lauten- und Orgeltabulaturen zu nennen. Was heute zum Volkslied gerechnet wird, ist im Wesentlichen durch die großen Sammlungen des 19. Jahrhunderts entschieden worden, v. a. durch die von A. von Arnim und C. Brentano (»Des Knaben Wunderhorn«, 3 Bände, 1806-08), Friedrich Karl von Erlach (* 1769,✝ 1852; »Die Volkslieder der Deutschen«, 5 Bände, 1834-36), L. Uhland (»Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder«, 2 Teile, 1844-45) sowie von L. Erk und Franz Magnus Böhme (* 1827, ✝ 1898; »Deutscher Liederhort«, 3 Bände, 1893-94), wobei diese Sammlungen weithin durch eine romantische Verklärung des Volkslieds geprägt sind und sowohl derb-erotische wie politisch-realitätsbezogene Lieder als »unanständig« ausgeschieden wurden.
 
Ein verengtes und gerade in Deutschland konservativ-ideologisch aufgeladenes Bild bestimmte auch die Volksliedpflege in Schule, Kirchen und Vereinen sowie die Wiederbelebung in der musikalischen Jugendbewegung (Wandervogel) nach 1900. V. a. seit 1945 aber weitete sich, auch in Auseinandersetzung mit internationalen Ausprägungen von Volksliedern und Volksliedforschung, der Blick, der nunmehr die wirkliche Fülle von Themen und Inhalten, textlichen und musikalischen Mitteln sowie Trägerschichten von Volksliedern erfasste. In den letzten Jahren zeichnet sich ein u. a. durch die angloamerikanische Folksong-Bewegung und die Aneignung der internationalen Folklore vermitteltes Aufleben des deutschen Volkslieds ab.
 
Das Deutsche Volksliedarchiv in Freiburg im Breisgau befasst sich mit der Sammlung und Erforschung des deutschen-sprachigen Volkslieds und seiner fremdsprachigen Parallelen und gibt seit 1928 das »Jahrbuch für Volksliedforschung« heraus.
 
 
Dt. V. mit ihren Melodien, hg. vom Dt. V.-Archiv, auf zahlr. Bde. ber. (1935 ff.);
 W. Danckert: Das V. im Abendland (1966);
 W. Danckert: Das europ. V. (21970);
 W. Danckert: Symbol, Metapher, Allegorie im Lied der Völker, 4 Tle. (1976-78);
 E. Klusen: V. Fund u. Erfindung (1969);
 
Hb. des V., hg. v. R. W. Brednich u. a., 2 Bde. (1973-75);
 W. Suppan: V. Seine Slg. u. Erforschung (21978);
 C. Collenberg: Wandel im V. (Freiburg 1986);
 
Bibliogr. der Lit. zum dt. V., bearb. v. B. Wolff u. a. (Leipzig 1987);
 W. Deutsch u. a.: Das V. in Österreich (Wien 1993);
 
V.er der Sorben in der Ober- u. Niederlausitz, hg. v. L. Haupt u. J. A. Smoler (Neuausg. 31996).
 
Zeitschriften: Jb. für V.-Forschung (1928 ff.);
 
Jb. des Österr. V.-Werkes (Wien 1952 ff.).
II
Volkslied,
 
Volksmusik.

* * *

Vọlks|lied, das [wahrsch. nach engl. popular song]: volkstümliches, im Volk gesungenes, vom Geist u. von der mündlichen Überlieferung des Volkes geprägtes, schlichtes Lied in Strophenform.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Volkslied — Volkslied …   Deutsch Wörterbuch

  • VOLKSLIED — Par opposition à Kunstlied (chanson savante), le terme allemand de Volkslied est traduisible faute de mieux par «chant populaire», mais ne recouvre pas exactement les mêmes données que ce vocable français. Le mot est introduit pour la première… …   Encyclopédie Universelle

  • Volkslied — es el término alemán que significa canción popular. En la historia de la música, el Volkslied adquirió especial importancia como fuente de inspiración para el género del Kunstlied, una canción artística para cantante y piano, y para el… …   Wikipedia Español

  • Volkslied — Volkslied, ein jedes Lied, das vom Volke ohne Noten gesungen wird. Der Ausdruck deutet ausschließlich auf die Aufnahme, die ein Lied in sangesfrohen Volkskreisen gefunden, auf das Schicksal hin, das es erfahren hat; es besagt nichts über den… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Volkslied — Volks lied, n.; pl. {Volkslieder}. [G.] (Mus.) A popular song, or national air. [1913 Webster] …   The Collaborative International Dictionary of English

  • Volkslied — Volkslied, das im Munde des Volkes lebende Lied, epischen oder lyrischen Inhalts, einfach und schlicht nach Ausdruck und Melodie, und dabei so, daß jeder den Ausdruck und die Melodie seiner eigenen Empfindungsweise anzupassen vermag, ohne daß der …   Herders Conversations-Lexikon

  • Volkslied — [fō̂lks′lēt΄] n. pl. Volkslieder [fō̂lks′lē΄dər] [Ger] a folk song …   English World dictionary

  • Volkslied — Ein Volkslied ist ein Lied, das die weitestmögliche Verbreitung in einer und durch eine soziale Gruppe findet. Volkslieder lassen sich nach musikalischen, sprachlichen, gesellschaftlichen und historischen Merkmalen unterscheiden. Gemeinsame… …   Deutsch Wikipedia

  • Volkslied — Volk: Die Herkunft des altgerm. Substantivs mhd. volc »Leute, Volk; Kriegsschar«, ahd. folc »Haufe, Kriegerschar; Volk«, niederl. volk »Volk«, engl. folk »Leute, Angehörige«, schwed. folk »Leute, Volk« ist nicht sicher geklärt. Wahrscheinlich… …   Das Herkunftswörterbuch

  • Volkslied — das Volkslied, er (Aufbaustufe) Lied, das im Volksmund entstanden ist Beispiele: Nach Mitternacht wurden bei dem Fest verschiedene Volkslieder gesungen. Sie hat zu Hause eine große Sammlung von deutschen Volksliedern …   Extremes Deutsch

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”